Marlena Kudlicka: ‘unprotected 0’ fig. 180º, Skulptur, 236cm x 330cm x 20cm, pulverbeschichteter Stahl, Glas, 2015
Courtesy: Sammlung Peter Niemann, Kiel
Die Ausstellung Laws of Form, angeregt durch den Titel der gleichnamigen Publikation des britischen Mathematikers George Spencer-Brown, geht von unterschiedlichen formalen Ebenen und Beziehungen, Einschlüssen und Ausschlüssen aus: den persönlichen, subjektiven, den objektiv scheinbar gegebenen und dem von Alfred Sohn-Rethel als Transzendentalsubjekt bezeichneten Geld, als gesellschaftliche Synthesis.
Marlena Kudlicka
„Das Werk von Marlena Kudlicka steht in ihrer nicht-gegenständlichen Abstraktion in einer langen Tradition des Konstruktivismus, der in Polen eine besondere Ausprägung erfahren hatte. Hier ist stellvertretend das Werk von Katarzyna Kobro (1898–1951) zu nennen, die Bildhauerin, die zuerst die Grenzen zwischen Skulptur und Architektur fließend gemacht hat. Ihre Konstruktionen konnten als potenzielle Architektur verstanden werden, als offene Raumgebilde. Andere Arbeiten beinhalten eine Labilität, die auch dem Werk von Marlena Kudlicka eigen ist. Das Tektonische wird in Frage gestellt, wenn es als Ausdruck von Macht zu verstehen ist. Es wird als Gleichgewicht verschiedener Formen untereinander eingesetzt, indem sich Formen gegenseitig halten, das Gewicht des einen Elements bewirkt die Stabilität des Ganzen. Hier liegt eine direkte Verbindung zwischen der Idee eines Konstruktivismus heute, wie ihn Marlena Kudlicka entwickelt, und den Vorläufern ihrer Kunstgeschichte in Polen. Die Konkrete Poesie, die Collage, die Skulptur als Wechselspiel zwischen Linien, Flächen und Volumen sind Grundbegriffe einer Abstraktion, die auch heute immer noch eine Faszination auszulösen vermag, weil die Versprechen der Avantgardisten von einst noch nicht gänzlich eingelöst sind.“
Friedrich Meschede
Was Friedrich Meschede als nicht eingelösten Rest des Konstruktivismus beschreibt, bleibt fraglich. Es ging ja gerade nicht um Abstraktion, sondern um die “Gestaltung der Gesellschaft”, der Anwendung von Kunst, die insbesondere in Bereichen des Designs, der Werbung und Typografie, der politischen Repräsentation wirkte. Die Verknüpfung unterschiedlicher Lebensbereiche, ihre Durchdringung im Sinne einer den Produktionsbedingungen adäquaten und aus diesen Bedingungen abgeleiteten formalen Entsprechung der Ästhetik, kann als das wesentliche Merkmal dieser Moderne bezeichnet werden. Inzwischen ist aber der Begriff der Moderne leer, in sein Gegenteil verkehrt worden. Fredric Jameson bringt in seinem Buch „Mythen der Moderne“ das schöne Beispiel eines Regals, das Regal der Moderne ist aber inzwischen leer geräumt, es ist ohne Inhalt, nur das Gerüst ist geblieben, und wenn von Moderne die Rede ist, dann ist damit nicht Emanzipation oder Fortschritt, sondern das Gegenteil bezeichnet, der Begriff gehört nun der FDP.
Insofern schlage ich vor, sich bei den Arbeiten von Marlena Kudlicka auf das zu beschränken, was wir tatsächlich sehen; dann können Fragen nach der Offenheit von Systemen, den Abhängigkeiten der Rezeption von den aktuellen Positionen des Betrachters und einer dadurch geprägten Veränderlichkeit der Wahrnehmung gestellt werden.
Julika Rudelius
„Alles in der Welt läßt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.“
Johann Wolfgang von Goethe
In der vorgestellten Video-Arbeit von Julika Rudelius geht es um die Einzigartigkeit von Paar-Beziehungen unter dem Aspekt ihrer Beispielhaftigkeit, des Vorbildcharakters. Die Frau ist lieb zu dem Mann, ihrem Mann, dem Kind soll ein positives Vorbild zur Liebe, eine positives Verhältnis zum Vater vermittelt werden. Die Frau inszeniert ihre Liebe in Form einer Gleichung, deren erwartetes Ergebnis die Liebesfähigkeit des Kindes zum Anlass nimmt.
„One of Us“ handelt von der Liebe, vom perfekten Paar, dessen Selbstverständnis in besonderem Maße durch ihre Beziehung bestimmt wird. Die offensichtliche Intimität der Paare, Küssen, Tanzen und der Austausch anderer Zärtlichkeiten hat nichts mit der voyeuristisch inszenierten Intimität der Massenmedien zu tun. Sie wirkt erstaunlich hermetisch, in sich verschlossen, romantisch, tragisch. Die Schonungslosigkeit der bestechend schönen Bilder, die Julika Rudelius von diesen Paaren produziert, hat etwas verstörendes an sich. Als „Individualismus zu zweit“ bezeichnet die Künstlerin diese Flucht ins Private, die außer dem Glück der Zweisamkeit nichts anderes mehr gelten lässt. Ein Glück, dessen Liebesschwüre jedoch wie aus einem Popsong gecastet wirken. Befremden und Ergriffenheit hält sich so die Waage, wenn eine Frau, die mit ihrem Partner, mit dem sie seit zehn, zwanzig oder mehr Jahren zusammen ist, gesteht: „My life with you is the best thing in my life. You make me happy. I am happy within myself … yet with you what a party“.
Thomas Locher
Der 1956 geborene Künstler Thomas Locher hat sich immer wieder für prinzipielle Grundlagen interessiert, wie z.B. Grammatik oder Recht, die so unumstößlich wirken, dabei aber über eine große Portion Fiktionalität verfügen.
Ausgehend vom 18. Jahrhundert als einer Epoche, in der nicht nur die Frage des Kredits, der Schuld/Schulden/Wechsel literarisch behandelt wird, sondern in der sich auch das Papiergeld als verbindliches Zahlungsmittel durchzusetzen begann, beschäftigt sich Thomas Locher mit dem Thema Geld als Vermittler des Austauschs sowohl der Waren als auch des kommunikativen Handelns. Jacques Derrida sieht in der Gabe ein Phänomen, das es gibt und zugleich nicht gibt, das sich als ein Prinzip begrifflich nicht fassen lässt. Die Gabe ist ein widersprüchliches Phänomen, versehen mit der Fähigkeit, die Zirkulation und den Kreislauf des Ökonomischen zu befragen. Denn damit die Gabe überhaupt Gabe ist, darf sie nicht zirkulieren, sie darf sich nicht vom Prozess des Tauschs einnehmen lassen.
Die Arbeiten von Thomas Locher im Rahmen der Ausstellung Laws of Form lassen sich als Hypotenuse der Ausstellung als gedachtes Dreieck beschreiben. Seine Beschäftigung mit Sprache, Text und Ökonomie, und hier insbesondere mit der Frage nach dem Subjekt der Ökonomie, führt Material in den Ausstellungsraum, das als (Vor-)Bedingung von Gesellschaften in der Soziologie und Ethnologie Forschungsschwerpunkte bildet. Durch diese Anknüpfungspunkte wiederum werden die Arbeiten von Julika Rudelius und Marlena Kudlicka in einer Weise kontextualisiert, die unter den formalen oder psychologischen Ebenen der Erscheinung materielle Bedingungen ihrer Entstehung und Bedeutung nahelegen.
Die Ausstellung Laws of Form, angeregt durch den Titel der gleichnamigen Publikation des britischen Mathematikers George Spencer-Brown, geht von unterschiedlichen formalen Ebenen und Beziehungen, Einschlüssen und Ausschlüssen aus: den persönlichen, subjektiven, den objektiv scheinbar gegebenen und dem von Alfred Sohn-Rethel als Transzendentalsubjekt bezeichneten Geld, als gesellschaftliche Synthesis.
Marlena Kudlicka
„Das Werk von Marlena Kudlicka steht in ihrer nicht-gegenständlichen Abstraktion in einer langen Tradition des Konstruktivismus, der in Polen eine besondere Ausprägung erfahren hatte. Hier ist stellvertretend das Werk von Katarzyna Kobro (1898–1951) zu nennen, die Bildhauerin, die zuerst die Grenzen zwischen Skulptur und Architektur fließend gemacht hat. Ihre Konstruktionen konnten als potenzielle Architektur verstanden werden, als offene Raumgebilde. Andere Arbeiten beinhalten eine Labilität, die auch dem Werk von Marlena Kudlicka eigen ist. Das Tektonische wird in Frage gestellt, wenn es als Ausdruck von Macht zu verstehen ist. Es wird als Gleichgewicht verschiedener Formen untereinander eingesetzt, indem sich Formen gegenseitig halten, das Gewicht des einen Elements bewirkt die Stabilität des Ganzen. Hier liegt eine direkte Verbindung zwischen der Idee eines Konstruktivismus heute, wie ihn Marlena Kudlicka entwickelt, und den Vorläufern ihrer Kunstgeschichte in Polen. Die Konkrete Poesie, die Collage, die Skulptur als Wechselspiel zwischen Linien, Flächen und Volumen sind Grundbegriffe einer Abstraktion, die auch heute immer noch eine Faszination auszulösen vermag, weil die Versprechen der Avantgardisten von einst noch nicht gänzlich eingelöst sind.“
Friedrich Meschede
Was Friedrich Meschede als nicht eingelösten Rest des Konstruktivismus beschreibt, bleibt fraglich. Es ging ja gerade nicht um Abstraktion, sondern um die “Gestaltung der Gesellschaft”, der Anwendung von Kunst, die insbesondere in Bereichen des Designs, der Werbung und Typografie, der politischen Repräsentation wirkte. Die Verknüpfung unterschiedlicher Lebensbereiche, ihre Durchdringung im Sinne einer den Produktionsbedingungen adäquaten und aus diesen Bedingungen abgeleiteten formalen Entsprechung der Ästhetik, kann als das wesentliche Merkmal dieser Moderne bezeichnet werden. Inzwischen ist aber der Begriff der Moderne leer, in sein Gegenteil verkehrt worden. Fredric Jameson bringt in seinem Buch „Mythen der Moderne“ das schöne Beispiel eines Regals, das Regal der Moderne ist aber inzwischen leer geräumt, es ist ohne Inhalt, nur das Gerüst ist geblieben, und wenn von Moderne die Rede ist, dann ist damit nicht Emanzipation oder Fortschritt, sondern das Gegenteil bezeichnet, der Begriff gehört nun der FDP.
Insofern schlage ich vor, sich bei den Arbeiten von Marlena Kudlicka auf das zu beschränken, was wir tatsächlich sehen; dann können Fragen nach der Offenheit von Systemen, den Abhängigkeiten der Rezeption von den aktuellen Positionen des Betrachters und einer dadurch geprägten Veränderlichkeit der Wahrnehmung gestellt werden.
Julika Rudelius
Johann Wolfgang von Goethe
In der vorgestellten Video-Arbeit von Julika Rudelius geht es um die Einzigartigkeit von Paar-Beziehungen unter dem Aspekt ihrer Beispielhaftigkeit, des Vorbildcharakters. Die Frau ist lieb zu dem Mann, ihrem Mann, dem Kind soll ein positives Vorbild zur Liebe, eine positives Verhältnis zum Vater vermittelt werden. Die Frau inszeniert ihre Liebe in Form einer Gleichung, deren erwartetes Ergebnis die Liebesfähigkeit des Kindes zum Anlass nimmt.
„One of Us“ handelt von der Liebe, vom perfekten Paar, dessen Selbstverständnis in besonderem Maße durch ihre Beziehung bestimmt wird. Die offensichtliche Intimität der Paare, Küssen, Tanzen und der Austausch anderer Zärtlichkeiten hat nichts mit der voyeuristisch inszenierten Intimität der Massenmedien zu tun. Sie wirkt erstaunlich hermetisch, in sich verschlossen, romantisch, tragisch. Die Schonungslosigkeit der bestechend schönen Bilder, die Julika Rudelius von diesen Paaren produziert, hat etwas verstörendes an sich. Als „Individualismus zu zweit“ bezeichnet die Künstlerin diese Flucht ins Private, die außer dem Glück der Zweisamkeit nichts anderes mehr gelten lässt. Ein Glück, dessen Liebesschwüre jedoch wie aus einem Popsong gecastet wirken. Befremden und Ergriffenheit hält sich so die Waage, wenn eine Frau, die mit ihrem Partner, mit dem sie seit zehn, zwanzig oder mehr Jahren zusammen ist, gesteht: „My life with you is the best thing in my life. You make me happy. I am happy within myself … yet with you what a party“.
Thomas Locher
Der 1956 geborene Künstler Thomas Locher hat sich immer wieder für prinzipielle Grundlagen interessiert, wie z.B. Grammatik oder Recht, die so unumstößlich wirken, dabei aber über eine große Portion Fiktionalität verfügen.
Ausgehend vom 18. Jahrhundert als einer Epoche, in der nicht nur die Frage des Kredits, der Schuld/Schulden/Wechsel literarisch behandelt wird, sondern in der sich auch das Papiergeld als verbindliches Zahlungsmittel durchzusetzen begann, beschäftigt sich Thomas Locher mit dem Thema Geld als Vermittler des Austauschs sowohl der Waren als auch des kommunikativen Handelns. Jacques Derrida sieht in der Gabe ein Phänomen, das es gibt und zugleich nicht gibt, das sich als ein Prinzip begrifflich nicht fassen lässt. Die Gabe ist ein widersprüchliches Phänomen, versehen mit der Fähigkeit, die Zirkulation und den Kreislauf des Ökonomischen zu befragen. Denn damit die Gabe überhaupt Gabe ist, darf sie nicht zirkulieren, sie darf sich nicht vom Prozess des Tauschs einnehmen lassen.
Die Arbeiten von Thomas Locher im Rahmen der Ausstellung Laws of Form lassen sich als Hypotenuse der Ausstellung als gedachtes Dreieck beschreiben. Seine Beschäftigung mit Sprache, Text und Ökonomie, und hier insbesondere mit der Frage nach dem Subjekt der Ökonomie, führt Material in den Ausstellungsraum, das als (Vor-)Bedingung von Gesellschaften in der Soziologie und Ethnologie Forschungsschwerpunkte bildet. Durch diese Anknüpfungspunkte wiederum werden die Arbeiten von Julika Rudelius und Marlena Kudlicka in einer Weise kontextualisiert, die unter den formalen oder psychologischen Ebenen der Erscheinung materielle Bedingungen ihrer Entstehung und Bedeutung nahelegen.