»über das sprechen« weist in seiner Kleinschreibung auf die Doppeldeutigkeit der Worte hin. Einmal handelt die Ausstellung von Sprache, thematisiert das großgeschriebene Sprechen in seinen verschiedenen Dimensionen, in seinen Fragen nach dem, was mit dem Sprechen ausgesagt, gedanklich ausgelöst oder mithilfe von Sprache und ihren Medien verdeckt wird. Die andere Variante des Ausstellungstitels versteht sich als Aufforderung über »das« zu sprechen, das als Demonstrativpronomen, eine Referenz auf etwas ist, das nur aus dem Zusammenhang beziehungsweise dem Wissen der Sprechenden eine Bedeutung erhält. Auf diese Suche nach Kontext begibt sich das Publikum der Schweriner Ausstellung, wenn es sich auf das Thema des Sprechens in verschiedenen Medien einlässt.
Die raumfüllende Videoinstallation FÜNF MINUTEN ist allein auf Schriftsprache reduziert, unterstützt von einer Soundkomposition von Stefan Hoffmeister. Worte werden über drei Beamer auf Vorhänge aus Fäden projiziert, umgeben die Betrachtenden im Zentrum der Installation zu allen Seiten. Die Wortfolgen beginnen einfach mit »ich«, »du« und »wir« auf jeweils einer Projektionsfläche. Scheinen sich anfangs noch sinnvolle Sätze zu ergeben, tritt schnell eine Überforderung ein bei dem Versuch, sämtliche Wörter zu lesen. Worte durchbrechen die Syntax und ergeben vielmehr rhythmische Muster, unterstrichen durch die metallischen technoiden Klänge der elektronischen Musik. Abhängig von der individuellen Aufmerksamkeit ändern sich die Zusammenhänge, werden doppeldeutig – wie beispielsweise die »Blutung« oder das »Schutzgebiet« – und lassen auf verschiedene mögliche Kontexte der fragmentarischen Erzählungen schließen. Der Titel der Medieninstallation ist ihre exakte Abspielzeit von 5 Minuten. Es sind jene bekannten fünf Minuten, die im alltäglichen Sprachgebrauch als kleine Gefälligkeit abverlangt werden, Zeit, die noch übrig zu sein scheint: »Gib mir fünf Minuten, und ich erklär’s Dir.« Doch es sind auch die vagen fünf Minuten des Aufschiebens: »Noch fünf Minuten…« und der Sprecher oder die Sprecherin hat eine Arbeit erledigt, essen gekocht oder möglicherweise ausgeschlafen. Jene fünf Minuten, in denen der Adressat wieder die voll-ständige Aufmerksamkeit erhält.
Die Serie von Papierarbeiten der SPRECHGITTER zeigt Formen, die zunächst abstrakt als Ornamente oder technische Muster erscheinen. Die Lochraster haben reale Vorbilder. Sprechgitter sind Schutzabdeckungen für Gegensprechanlagen. Sie verhelfen zum Einlass oder zur Abgabe von Notsignalen im Fahrstuhl, in der Bahn zum Gespräch mit dem Fahrer oder der Fahrerin. Die Metallabdeckungen schützen den Lautsprecher, ermöglichen aber durch die Löcher, dass Schall übertragen wird. Ihnen ist gemein, dass sie mit einfacher Technik über eine gesicherte Schwelle zwischen Innen- und Außenraum vermitteln. Sie sind eigenwillige Medien des Transfers, des Übergangs, mal industriell produziert, mal handwerklich laienhaft gebohrt. Die Serie zeigt eine Typologie aus verschiedenen Ländern, wie Italien oder Frankreich. Die Lochraster ergeben nahezu zweidimensionale Muster, jedoch zeigt Sachsenmaier, dass sie in eine dritte Dimension dahinterführen, die aber wie das Gegenüber im
Dunkeln bleibt.
In der Videoinstallation GO TO THE LIMIT sieht sich das Publikum den filmischen Porträts von Personen gegenüber, die fortwährend und konzentriert Staatsangehörige auflisten, wie die Mauretanier, Israelis, Italiener und viele mehr. Die Porträtierten sind männlich oder weiblich, verschiedenen Alters und gehören, ihrer Sprache nach zu urteilen, selbst verschiedenen Nationen an. Die Monitore sind auf hochkant gestellte Schreibtische montiert, die den Eindruck verstärken, dass die Aufzählung wie ein bürokratischer Akt dokumentiert wird. Bei den Betrachtenden stellt sich zunächst die Frage, nach welchen Kategorien die genannten Nationen von den Sprechenden ausgewählt wurden. Ihre einmal nachdenkliche, dann fröhliche oder auch sehr bestimmte Intonation lässt in Gedanken fiktive Kriterien entstehen. Die Aufgabe, die Andreas Sachsenmaier den Porträtierten stellte war lediglich,
die Bezeichnungen von Angehörigen verschiedener Nationen zu nennen.
Die bezeichneten Objekte sind auch bei der Videoinstallation MOJO 2 nicht sichtbar. Kurze Sätze fordern zu Handlungen auf. Es sind Werbeslogans im Imperativ oder als Suggestivfragen formuliert. Die Sätze rotieren um eine horizontale Achse wie bei einem Glücksspielautomaten, werden langsamer und bleiben stehen. Mit welcher Botschaft jeder Besucher nach Hause geht, entscheidet der glückliche Zufall.
Der Kurzfilm PARKOUR führt durch den Aue-Pavillon der documenta 12. Die Ausstellung ist jedoch noch nicht eröffnet. Während des gesamten Films ist keine Kunst sichtbar, sondern nur die verpackten Werke, die während des Aufbaus bereits im Pavillon lagern, sowie die aufwändige Ausstellungsarchitektur der Gewächshäuser, mit denen Kurator Peter Bürgel eine transparente Atmosphäre schaffen wollte. Sachsenmaier filmt die verhüllte Ausstellung von einer fahrenden Hebebühne und eröffnet eine neue Perspektive auf die Kunst und ihre Räume. Werktitel werden eingeblendet, so dass die Filmbetrachterinnen mit etwas Kenntnis erahnen können, was hinter den Folien und den gewaltigen Papiermengen steckt. Die Kunst wird bei diesem Ausstellungsrundgang nur noch über die Titel sichtbar, nun vollkommen nominalisiert. Sachsenmaier schließt die Ausstellung mit diesem Werk ab, die Sprache ist an die Stelle der sinnlichen Wahrnehmung getreten.
Andreas Sachsenmaier zeigt Sprach-Welten, zu denen den Betrachtenden der direkte Zugang verschlossen bleibt, ähnlich wie im Theater das Nicht-Darstellbare über die »Mauerschau«, durch den über eine Wand blickenden Erzähler beschrieben wird. Die Videoinstallationen und Papierarbeiten offenbaren Strukturen und Systeme von Kommunikation. Der Blick auf die Hüllen und das Verdecken schärft die Aufmerksamkeit für die jeweiligen Medien und ihre Funktionsweisen. Die Konzentration auf die Sprache lässt über das Verstehen nachdenken, über jenes »das«, worum das Sprechen kreist. (Dr. Christina K. May)
»über das sprechen« weist in seiner Kleinschreibung auf die Doppeldeutigkeit der Worte hin. Einmal handelt die Ausstellung von Sprache, thematisiert das großgeschriebene Sprechen in seinen verschiedenen Dimensionen, in seinen Fragen nach dem, was mit dem Sprechen ausgesagt, gedanklich ausgelöst oder mithilfe von Sprache und ihren Medien verdeckt wird. Die andere Variante des Ausstellungstitels versteht sich als Aufforderung über »das« zu sprechen, das als Demonstrativpronomen, eine Referenz auf etwas ist, das nur aus dem Zusammenhang beziehungsweise dem Wissen der Sprechenden eine Bedeutung erhält. Auf diese Suche nach Kontext begibt sich das Publikum der Schweriner Ausstellung, wenn es sich auf das Thema des Sprechens in verschiedenen Medien einlässt.
Die raumfüllende Videoinstallation FÜNF MINUTEN ist allein auf Schriftsprache reduziert, unterstützt von einer Soundkomposition von Stefan Hoffmeister. Worte werden über drei Beamer auf Vorhänge aus Fäden projiziert, umgeben die Betrachtenden im Zentrum der Installation zu allen Seiten. Die Wortfolgen beginnen einfach mit »ich«, »du« und »wir« auf jeweils einer Projektionsfläche. Scheinen sich anfangs noch sinnvolle Sätze zu ergeben, tritt schnell eine Überforderung ein bei dem Versuch, sämtliche Wörter zu lesen. Worte durchbrechen die Syntax und ergeben vielmehr rhythmische Muster, unterstrichen durch die metallischen technoiden Klänge der elektronischen Musik. Abhängig von der individuellen Aufmerksamkeit ändern sich die Zusammenhänge, werden doppeldeutig – wie beispielsweise die »Blutung« oder das »Schutzgebiet« – und lassen auf verschiedene mögliche Kontexte der fragmentarischen Erzählungen schließen. Der Titel der Medieninstallation ist ihre exakte Abspielzeit von 5 Minuten. Es sind jene bekannten fünf Minuten, die im alltäglichen Sprachgebrauch als kleine Gefälligkeit abverlangt werden, Zeit, die noch übrig zu sein scheint: »Gib mir fünf Minuten, und ich erklär’s Dir.« Doch es sind auch die vagen fünf Minuten des Aufschiebens: »Noch fünf Minuten…« und der Sprecher oder die Sprecherin hat eine Arbeit erledigt, essen gekocht oder möglicherweise ausgeschlafen. Jene fünf Minuten, in denen der Adressat wieder die voll-ständige Aufmerksamkeit erhält.
Die Serie von Papierarbeiten der SPRECHGITTER zeigt Formen, die zunächst abstrakt als Ornamente oder technische Muster erscheinen. Die Lochraster haben reale Vorbilder. Sprechgitter sind Schutzabdeckungen für Gegensprechanlagen. Sie verhelfen zum Einlass oder zur Abgabe von Notsignalen im Fahrstuhl, in der Bahn zum Gespräch mit dem Fahrer oder der Fahrerin. Die Metallabdeckungen schützen den Lautsprecher, ermöglichen aber durch die Löcher, dass Schall übertragen wird. Ihnen ist gemein, dass sie mit einfacher Technik über eine gesicherte Schwelle zwischen Innen- und Außenraum vermitteln. Sie sind eigenwillige Medien des Transfers, des Übergangs, mal industriell produziert, mal handwerklich laienhaft gebohrt. Die Serie zeigt eine Typologie aus verschiedenen Ländern, wie Italien oder Frankreich. Die Lochraster ergeben nahezu zweidimensionale Muster, jedoch zeigt Sachsenmaier, dass sie in eine dritte Dimension dahinterführen, die aber wie das Gegenüber im
Dunkeln bleibt.
In der Videoinstallation GO TO THE LIMIT sieht sich das Publikum den filmischen Porträts von Personen gegenüber, die fortwährend und konzentriert Staatsangehörige auflisten, wie die Mauretanier, Israelis, Italiener und viele mehr. Die Porträtierten sind männlich oder weiblich, verschiedenen Alters und gehören, ihrer Sprache nach zu urteilen, selbst verschiedenen Nationen an. Die Monitore sind auf hochkant gestellte Schreibtische montiert, die den Eindruck verstärken, dass die Aufzählung wie ein bürokratischer Akt dokumentiert wird. Bei den Betrachtenden stellt sich zunächst die Frage, nach welchen Kategorien die genannten Nationen von den Sprechenden ausgewählt wurden. Ihre einmal nachdenkliche, dann fröhliche oder auch sehr bestimmte Intonation lässt in Gedanken fiktive Kriterien entstehen. Die Aufgabe, die Andreas Sachsenmaier den Porträtierten stellte war lediglich,
die Bezeichnungen von Angehörigen verschiedener Nationen zu nennen.
Die bezeichneten Objekte sind auch bei der Videoinstallation MOJO 2 nicht sichtbar. Kurze Sätze fordern zu Handlungen auf. Es sind Werbeslogans im Imperativ oder als Suggestivfragen formuliert. Die Sätze rotieren um eine horizontale Achse wie bei einem Glücksspielautomaten, werden langsamer und bleiben stehen. Mit welcher Botschaft jeder Besucher nach Hause geht, entscheidet der glückliche Zufall.
Der Kurzfilm PARKOUR führt durch den Aue-Pavillon der documenta 12. Die Ausstellung ist jedoch noch nicht eröffnet. Während des gesamten Films ist keine Kunst sichtbar, sondern nur die verpackten Werke, die während des Aufbaus bereits im Pavillon lagern, sowie die aufwändige Ausstellungsarchitektur der Gewächshäuser, mit denen Kurator Peter Bürgel eine transparente Atmosphäre schaffen wollte. Sachsenmaier filmt die verhüllte Ausstellung von einer fahrenden Hebebühne und eröffnet eine neue Perspektive auf die Kunst und ihre Räume. Werktitel werden eingeblendet, so dass die Filmbetrachterinnen mit etwas Kenntnis erahnen können, was hinter den Folien und den gewaltigen Papiermengen steckt. Die Kunst wird bei diesem Ausstellungsrundgang nur noch über die Titel sichtbar, nun vollkommen nominalisiert. Sachsenmaier schließt die Ausstellung mit diesem Werk ab, die Sprache ist an die Stelle der sinnlichen Wahrnehmung getreten.
Andreas Sachsenmaier zeigt Sprach-Welten, zu denen den Betrachtenden der direkte Zugang verschlossen bleibt, ähnlich wie im Theater das Nicht-Darstellbare über die »Mauerschau«, durch den über eine Wand blickenden Erzähler beschrieben wird. Die Videoinstallationen und Papierarbeiten offenbaren Strukturen und Systeme von Kommunikation. Der Blick auf die Hüllen und das Verdecken schärft die Aufmerksamkeit für die jeweiligen Medien und ihre Funktionsweisen. Die Konzentration auf die Sprache lässt über das Verstehen nachdenken, über jenes »das«, worum das Sprechen kreist. (Dr. Christina K. May)